Obdachlose Menschen wagen den Blick in den Spiegel. Im mobilen Coiffeursalon von Anna Tschannen begegnen sie ihrem verletzlichen Selbstbild. Während Anna ihr Gesicht zum Vorschein bringt, erzählen sie von ihrem Leben auf dem schmalen Grat zwischen Selbstaufgabe und Selbstachtung. Sie lassen sich von der Kamera durch ihre Tage und Nächte begleiten und zeigen, wie sie um Autonomie und Würde ringen. Beim Versuch mit ihren Wünschen und Träumen Schritt zu halten, zeigt sich, dass zwischen der Mitte der Gesellschaft und ihrem Rand nur ein schmaler Grat liegt. Und während sie auf dem Coiffeurstuhl von ihrem Leben erzählen, bekommen ihre Geschichten allmählich ein neues Gesicht.
Der Film und seine Macher tragen Sorge zu ihren Protagonist/innen und geben deren Bedürfnissen genügend Raum. Dies alles verdeutlicht sich in Momenten, in denen Tschannen beispielsweise liebevoll und routiniert zugleich mit den Fingern durch die langen Haare ihrer Kund/innen fährt - eine irritierend intime Geste. Schliesslich überführt sie uns, genau wie die Dame mit Koffer, der Vorurteile gegenüber Obdachlosen. Dabei sitzen vor Tschannens Spiegel Menschen, denen man die Obdachlosigkeit ,., nicht ansehen würde, wenn sie nur gut frisiert und angezogen wären - so wie zum Beispiel Markus, der nach einem Haarschnitt ein bisschen wie Sean Penn aussieht. Katja Zellweger, Filmkritikerin.